SPD Stuttgart-Zuffenhausen

 

Neujahrsempfang mit Nils Schmid und Ehrung Edzard Reuter

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Zu unserem Neujahrsempfang am 19. Januar konnten wir wieder sehr viele Bürgerinnen und Bürger begrüßen, zudem viel Prominenz aus Stadt, Land und Bund. Die Neujahrsansprache hielt Wirtschaftsminister Nils Schmid.

Weiterhin waren anwesend Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Staatssekretärin Marion von Wartenberg und die Stuttgarter Bundestagsabgeordneten Ute Vogt und Stefan Kaufmann.

Wir sind außerdem sehr froh und stolz, dass Edzard Reuter von Nils Schmid mit der Willy-Brandt-Medaille für 70 Jahre SPD-Mitgliedschaft geehrt worden ist.


Rede von Dr. Nils Schmid MdL anlässlich des Neujahrsempfangs der SPD Stuttgart „Vielfalt leben: Starke Kommunen in Baden-Württemberg!“ am 19. Januar 2016 in Stuttgart

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kuhn, lieber Martin Körner, liebe Susanne Kletzin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, und – so viel Zeit muss sein – liebe Genossinnen und Genossen, passend zum Neujahrsempfang natürlich Ihnen und euch allen ein gesundes und spannendes Jahr 2016.

Leider begann dieses Jahr in Köln und anderen Großstädten alles andere als gelöst und freudig. Hier in Stuttgart blieb es zwar vergleichsweise ruhig – auch dank der guten Arbeit unserer Polizei – aber das ändert nichts daran, dass auch wir über diese Vorfälle reden müssen. Um es ganz deutlich zu sagen: Was jungen Frauen dort passiert ist, ist widerwärtig. Sowas darf in unserem Land nicht möglich sein!

Diejenigen, die sich so gegen unsere Grundordnung stellen, haben bei uns keine Zukunft. Wir haben die rechtliche Handhabe und wir müssen durchgreifen. Diese Konsequenzen muss man ohne Frage aus Köln ziehen. Aber eines darf man nicht: Die Menschen, die zu uns vor Terror und Vertreibung fliehen, wegen den unentschuldbaren Taten Einzelner unter Generalverdacht zu stellen. Und ebenso wenig darf man die Chancen verkennen, die die Zuwanderung für unser Land bietet.

Gerade wir in Baden-Württemberg haben doch damit Erfahrung. Angefangen bei den Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, die unser Land aus Trümmern mit aufgebaut haben. Gefolgt von den – sogenannten – Gastarbeitern in den 60ern und 70ern, die unsern Standort stark gemacht haben. Und vor rund 20 Jahren all jene, die vor dem Krieg auf dem Balkan geflohen sind, damit ihre Kinder eine Zukunft haben können. Kinder, die heute als ärzte, Polizisten, Erzieher oder Lehrer helfen, dass unser Land lebenswert bleiben kann.

Auch daran müssen wir uns in diesen Tagen erinnern. Es mag verlockend sein, nach Obergrenzen zu rufen. Aber davon lassen sich Menschen doch nicht abhalten, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten. Natürlich kostet Integration Zeit, Geld und auch Nerven. Allein im letzten Jahr sind rund 100.000 Flüchtlinge zu uns nach Baden-Württemberg gekommen. Das ist ungefähr die Einwohnerzahl von Reutlingen.

Natürlich verändert das Vieles, aber eines ändert das nicht: Dass Baden-Württemberg ein verdammt starkes Land ist. 2015 lag unser Wirtschaftswachstum deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Wir feiern Beschäftigungshöchststände. Nirgendwo in Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit so gering. Wir sind und bleiben die innovativste Region Europas und kein Bundesland hat so eine regional ausgewogene Wirtschaftsstruktur mit Weltmarktführern in fast jedem Winkel unseres Landes.

Und für diese Stärke steht eben auch besonders unsere Landeshauptstadt. Laut einer Umfrage ist Stuttgart neben Oslo europaweit die Stadt mit den besten Jobchancen. Und das liegt natürlich auch daran, dass wir hier eine besonders starke wirtschaftliche und vor allem industrielle Basis haben. Während weltweit Staaten jahrzehntelang fröhlich „de-industrialisiert“ haben und jetzt merken, dass sie es besser gelassen hätten, hat sich Baden-Württemberg darauf nicht eingelassen.

Und gerade hier in Stuttgart zeigt sich: Es lohnt sich, nicht immer mit den Wölfen zu heulen. Die Stadt steht zu ihren industriellen Wurzeln und ebenso stehen Daimler, Bosch, Porsche zu Ihrer Stadt. Und dass Porsche seine Präsenz in Zuffenhausen jetzt nochmal massiv ausbaut, bestätigt ja genau das. Aber es ist ja nicht allein die Industrie, sondern mindestens genauso die Dienstleistungs- und die Kreativwirtschaft, die Stuttgart zum starken Standort machen.

Und mit Stefanie Brum haben wir auch eine SPD-Landtagskandidatin, die aus erster Hand weiß, wie man dieses Potential noch weiter stärken kann. Es lässt sich in Stuttgart aber nicht nur gut schaffen, sondern auch gut leben. Gerade was den Ausbau der Kinderbetreuung und der Schulen angeht, ist die Stadt ein echtes Vorbild. Aber ohne falsche Bescheidenheit, haben wir als Land natürlich auch die richtigen Rahmenbedingungen dafür geschaffen.

Denn durch den Pakt mit den Kommunen konnten wir auch in Stuttgart die Mittel für die Kleinkindbetreuung seit 2010 verdreifachen. Aber man muss dabei auch festhalten: Die Stadt legt sich, gerade was Investitionen in Schulen und das pädagogische Angebot angeht, sehr ins Zeug und zwar egal ob bei Ganztagsgrundschulen, Gemeinschaftsschulen, oder der Schulentwicklung bei den Realschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen.

Und auch was den Hochschulstandort Stuttgart angeht, tut sich ja nach wie vor einiges. Erst letztes Jahr haben wir mit der ARENA 2036 den Grundstein für ein absolutes Leuchtturmprojekt an der Uni Stuttgart legen können, dass für die Autoproduktion der Zukunft wegweisend sein wird. Und wo wäre so ein Projekt besser aufgehoben, als in der Autostadt Stuttgart. Neben Spitzenforschung steht Stuttgart aber eben auch für kulturelle Spitzenleistung.

Platz 1 im deutschen Kulturstädteranking des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts belegt man schließlich nicht einfach so. Und diese Titelverteidigung wird die Landesregierung natürlich nach Kräften unterstützen. Und auch in dieser Hinsicht tut sich ja einiges. Letztes Jahr konnten wir den Spatenstich für den Neubau der John Cranko Schule feiern, die energetische Sanierung der Staatsgalerie kommt gut voran und erst letzte Woche konnten wir die Vereinbarung für das Hotel Silber unterschreiben.

Es bleibt natürlich immer noch was zu tun, zum Beispiel die Sanierung des Staatstheaters. Aber das ist fast eine eigene Rede wert und auch deswegen nur so viel: Das Land wird die Sanierung nach Kräften unterstützen – und ich finde auch den Vorschlag der Stuttgarter SPD-Fraktion, einer Interimsstätte zu schaffen, die langfristig genutzt werden kann, durchaus nachvollziehbar und sinnvoll.

Insgesamt wird eines schon sehr deutlich: Unsere Landeshauptstadt steht einfach gut da und damit steht sie auch stellvertretend für die Vielfalt und Stärke der Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg. Aber natürlich gilt für Stuttgart, was für uns als Land gilt: Wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben. Denn wir haben das Zeug dazu, weiter zu wachsen. Und mehr noch, wir müssen auch wachsen.

Nicht nur wegen steigender Bevölkerungszahlen durch die Flüchtlingssituation: Nein, sondern weil es unser Ziel sein muss, – und zwar egal, ob auf kommunaler oder landespolitischer Ebene – dass alle Menschen in unserem Land mehr Chancen und Möglichkeiten haben. Und dafür müssen wir vor allem bei drei Themen weiter vorankommen.

Das ist erstens das Thema Bildungsgerechtigkeit, zweitens bezahlbarer Wohnraum und drittens der Ausbau der Infrastruktur – denn wenn unser Land wächst, dann muss auch unsere Infrastruktur Schritt halten. In Sachen Bildungsgerechtigkeit hat sich in Baden-Württemberg zweifellos schon richtig was bewegt. Wir haben heute eine flächendeckende Kinderbetreuung, wir haben heute doppelt so viele U3-Betreuungsplätze wie noch 2008 und einen besseren Betreuungsschlüssel findet man Deutschlandweit nicht.

Und das eben auch, weil die Kommunen dieses gemeinsame Projekt besonders aktiv mitgetragen haben. Qualitativ hat sich ebenfalls einiges getan, nehmen wir nur mal den stetigen Ausbau der Sprachförderung. Das ist für uns aber nicht erst seit gestern ein Thema, sondern vom ersten Tag der Regierungsverantwortung an. Und jetzt sorgen wir dafür, dass wir eben auch den Bedürfnissen der Flüchtlingskinder gerecht werden. Wir wissen aber auch, was noch zu tun ist.

Denn gute Kleinkindbetreuung ist natürlich die Grundlage – aber was, wenn die Kinder in die Schule kommen? Deswegen wollen wir den Eltern in Baden-Württemberg eine Garantie geben: Verlässliche Ganztagsangebote vom ersten Geburtstag bis zum letzten Schultag. Unser Ziel lautet: Bis 2023 sollen 70 Prozent der Grundschulen im Land Ganztagsschulen sein. Und wir wollen die Kita-Gebühren schrittweise abschaffen.

Denn auch das gehört dazu, wenn wir Baden-Württemberg zum Kinder- und Familienland Nr.1 machen wollen. Für gute Bildung braucht es nicht nur vernünftige frühkindliche Bildung und verlässliche Schulstrukturen, es kommt auch auf gute Ausbildung an und zwar für alle. Denn sie ist und bleibt die Grundlage unseres starken Standorts und macht spannende Karrieren möglich. Wir wissen, was wir an der Ausbildung haben – deswegen unterstützen wir die Berufsorientierung durch Berufswerber und Ausbildungsbotschafter.

Und in den vom Land geförderten Lernfabriken 4.0 können Auszubildende die Produktion der Zukunft schon heute erlernen – eine davon entsteht hier in Stuttgart an der Werner- Siemens-Schule, auch dank des Einsatzes des Schulleiters Rainer Klaus! Und mit AV Dual haben wir ein neues Modell entwickelt, das viel stärker auf Praxis und Erfahrungen in Betrieben setzt. Das hilft allen, die bisher Schwierigkeiten mit einem direkten Einstieg in Ausbildung hatten.

Denn egal woher sie kommen, sie sollen ihren Weg machen. Deswegen wollen wir auch Integrationslotsen einführen und die duale Integration auf den Weg bringen – denn nichts schafft Integration besser als Beschäftigung Und wir werden auch bei den Hochschulen dranbleiben. Nachdem wir die Studiengebühren abgeschafft und letztes Jahr mit dem Hochschulfinanzierungsvertrag für nachhaltige Finanzierung gesorgt haben, wollen wir die Durchlässigkeit steigern und auch beruflich Qualifizierten den Weg in ein Studium erleichtern.

Doch damit Baden-Württemberg weiter wachsen kann, braucht es nicht nur die richtigen Impulse in der Bildung. Ein wachsendes Land braucht auch schlicht und ergreifend genug Platz für Wachstum. Und damit zu meinem zweiten Punkt. Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum in Baden-Württemberg. Das ist uns nicht erst seit dem steigenden Bedarf durch die Flüchtlingssituation klar. Wir wissen, dass das für viele, viele Menschen ein Thema ist.

Gerade hier in Stuttgart – da muss man ja nur einmal Rolf Gaßmann fragen. Und das bestätigen ja auch die Stuttgarterinnen und Stuttgarter in Umfragen: Bezahlbarer Wohnraum ist das Thema Nr.1 hier – aber eigentlich auch landesweit. Deswegen haben wir seit 2011 die Wohnraumförderung massiv erhöht und auf die Förderung von Mietwohnraum ausgerichtet. Und auch dank der konsequenten Förderung durch „unsere“ L-Bank kriegen wir was bewegt.

Und um das an der Stelle auch mal zu sagen: Wir können uns glücklich schätzen, dass wir im Ländle nicht nur auf kommunale Wohnungsunternehmen, sondern auch auf die vielen Baugenossenschaften als Partner zählen können, die eben auch einen wichtigen Beitrag für mehr Wohnraum leisten! Neben einer besseren Förderung, haben wir außerdem massiv in die Städtebauliche Erneuerung investiert.

Aktuell laufen allein hier in Stuttgart 25 Maßnahmen – zum Beispiel „BC 20 – Hallschlag“ Und auch für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum haben wir den Kommunen zum Beispiel mit der Mietpreisbremse und dem Umwandlungsverbot Instrumente an die Hand gegeben. Aber auch wenn sich schon viel getan hat wissen wir: Es reicht noch nicht! Wir brauchen schlichtweg mehr Wohnraum im Land – nicht nur für die Schwächsten der Gesellschaft, sondern für alle.

Dafür braucht es drei Dinge: Fläche, Kapital und zeitgemäße Regelungen. Deswegen wollen wir einen landesweiten „Pakt für bezahlbares Wohnen“. Wir werden dafür alle Partner an einen Tisch bringen und gemeinsam eine zeitgemäße Landesförderung von Mietwohnungen und ehrgeizige Neubauziele auf den Weg bringen. Wir werden bestehende Regelungen konsequent unter die Lupe nehmen. Und wir werden uns in Berlin für die erhöhte steuerliche Absetzbarkeit im Wohnungsbau einsetzen –

Denn nur so können wir dringend privates Kapital mobilisieren. Nur so kommen wir bei dem Thema vorwärts. Und um vorwärts kommen geht es auch bei der Infrastruktur. Nachdem Schwarz-Gelb die Infrastruktur jahrzehntelang sich selbst überlassen hat, haben wir endlich für ausreichende Mittel gesorgt, um den Erhalt und den Ausbau von Landesstraßen und Brücken zu sichern. Wir haben mit Garantien ermöglicht, dass der Ausbau des Schienennahverkehrs vorankommt.

Und wir haben die Mittel für den Breitbandausbau allein 2015 verdreifacht. Und diesen klaren Kurs werden wird auch in der nächsten Legislatur fortsetzen. Denn nur so können wir der starke Standort bleiben, der wir heute sind. Und dabei wird mir sicher auch einer zustimmen, dessen Arbeit und dessen Einsatz eben mit dazu beigetragen haben, dass wir heute so gut dastehen.

Lieber Edzard Reuter, der Versuch, deine Lebensgeschichte und Lebensleistung – wie bei so einem Anlass üblich – gebührend zu würdigen, ist ja eigentlich vergebliche Liebesmüh. Erstens dürfte es im Publikum wenige geben, denen du kein „Begriff“ bist. Und zweitens würde eine wirklich gebührende Würdigung zu einem mehr als deutlichen überziehen meiner Redezeit führen.

Aber ich kann es mir natürlich nicht nehmen lassen, zumindest die wichtigsten Eckpunkte kurz und bündig zu skizzieren. Du wirst 1928 in Berlin als Sohn des bekannten Sozialdemokraten Ernst Reuter geboren. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten sieht sich deine Familie gezwungen, aus Deutschland zu fliehen. Deine Kindheit verbringst du im Exil in Ankara, das bis 1946 andauert. Ein Jahr, das übrigens auch aus Sicht des heutigen Abends besondere Bedeutung hat:

Denn in diesem Jahr trittst du auch in die SPD ein. Nach Rückkehr, erfolgreichem Studium und ersten beruflichen Erfahrungen, zieht es dich vor rund 50 Jahren nach Stuttgart und zum Daimler. Und ich glaube, es ist an dieser Stelle und aus heutiger Sicht nicht untertrieben, festzuhalten: Das war ein echter Glücksfall – für Daimler, für Stuttgart und auch für die baden-württembergische SPD. 1987 wirst du bei Daimler Vorstandsvorsitzender.

In dieser Position hast du dich dabei nie nur als Unternehmenslenker verstanden, du warst dir auch immer und mehr als alle anderen der besonderen gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen und Unternehmern bewusst. Natürlich warst du ein Anhänger der Marktwirtschaft, aber das eben, ohne absolut „marktgläubig“ zu sein. Du hast immer wieder dafür sensibilisiert, dass die Kräfte des Marktes nicht nur für Chancen sorgen, sondern eben auch Gefahren bergen.

Daran erinnert, dass Marktwirtschaft unmenschlich wird, wenn Märkte zum Diktat erhoben und Gesellschaften zur Unterordnung gezwungen werden. Dieser Weitblick hat dich zu einem der wichtigsten Verteidiger einer tatsächlich „sozialen“ Marktwirtschaft gemacht und diesen Weitblick hast du dir bis heute erhalten. Für dich war dabei nie das Ziel, den Status Quo zu zementieren.

Vielmehr hast du als Wirtschaftslenker, Publizist und mit der gemeinsam mit deiner Frau gegründeten Helga-und-Edzard-Reuter-Stitftung dafür gesorgt, dass sich etwas bewegen kann. In deinen Lebenserinnerungen findet sich der ebenso prägnante wie wahre Satz: „Ständige Bereitschaft und Fähigkeit zu rechtzeitiger Reform sind ein Lebenselement der Demokratie.“

Und wir als Sozialdemokraten tun gut daran, diesen, deinen Satz auch weiterhin ernst zu nehmen. Und ich glaube, wir können gerade in diesen bewegten Zeiten auch noch etwas anderes von dir „mitnehmen“: Dass zu einer Haltung eben nicht nur gehört eine zu haben, sondern sie auch zu wahren und zu verteidigen.

Lieber Edzard, du hast dich als engagierter Bürger um Stuttgart verdient gemacht – sei es im Literaturhaus, in der Schule „deines“ Stadtbezirks oder gemeinsam mit deiner Frau in der israelitischen Religionsgemeinschaft.

Du hast dich um die Stuttgarter SPD verdient gemacht – denn auch, wenn du eine eigene Kandidatur trotz intensivstem Werben nie in Betracht gezogen hast, warst du stets als engagierter Wahlkämpfer zur Stelle, besonders im OB-Wahlkampf 2004 als Kopf der Wählerinitiative für Ute Kumpf. Und du hast dich um unser Land, um unsere Gesellschaft verdient gemacht – als kluger Kopf und als Anstifter im besten Sinne.

Lieber Edzard, ich gratuliere dir ganz herzlich und in tiefer Dankbarkeit – sowohl im Namen der SPD Stuttgart und der SPD Baden- Württemberg – zu 70 Jahren Mitgliedschaft.

Und ich darf dir heute und in Anerkennung deiner großen Leistungen die Willy-Brandt Medaille überreichen.


Edzard Reuter: Dankworte anlässlich der Ehrung für 70-jährige Mitgliedschaft in der SPD

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Warum diese Ehrung? Ich habe nichts für die Partei getan: Ich war weder Kassierer, noch Beisitzer oder gar Delegierter – geschweige denn in politischer Verantwortung!

Also: Besser den Mund halten und seitwärts in die Büsche? Nach dem Motto Wilhelm Buschs: „Dumme Gedanken hat jeder, aber der Weise verschweigt sie“?

Andererseits: Es gibt ein paar einfache Grundsätze, Erfahrungen, Wertvorstellungen. Vielleicht nicht für jedermann selbstverständlich. Sie haben aber mein langes Leben zu jeder Sekunde geprägt.

Zum Beispiel die Überzeugung, dass es für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreicht, nur für das eigene Wohl da zu sein – sondern dass wir, ob wir es wollen oder nicht, in der Verantwortung für das gemeine Wohl stehen.

Zum Beispiel die Vorstellung, dass ein demokratischer Staat, wie auch immer er organisiert sein mag, in der unverbrüchlichen Pflicht steht, Freiheit von Unterdrückung jeglicher Art als unverzichtbares Gut zu schützen.

Zum Beispiel das Leitbild, dass ein Gemeinwesen nicht seinen Namen verdient, wenn es bei seinen Entscheidungen die Rücksichtnahme auf die Schwachen vergisst.

Zum Beispiel die Überzeugung, dass Europa zu einem gemeinsamen Staatswesen zusammenwachsen muss, wenn seine Völker weiterhin in Freiheit, Frieden und Würde zusammenleben wollen.

Zum Beispiel die Erfahrung, dass verantwortungsbewusste politische Führung den Mut voraussetzt, mündige Bürgerinnen und Bürger auch mit unbequemen Wahrheiten vertraut zu machen.

Für diese Vorstellungen bin ich immer eingetreten, soweit dies meine Kräfte zugelassen haben.

Dabei wird es bis zum letzten Atemzug bleiben – selbst dann, wenn meine Partei mich auch zukünftig manches Mal zur Verzweiflung treiben sollte …

Heute ist keine Wahlkampfveranstaltung. Daher nur der Hinweis, dass die Sozialdemokratie genau diese Überzeugungen immer wieder als Grundwerte ihres politischen Wollen und Wirkens betrachtet hat.

Trotz aller unbestreitbaren Verdienste anderer Parteien ist und bleibt sie daher für mich nicht nur unverwechselbar, sondern einzigartig.

Eingeschlossen in diese Feststellung ist allerdings die Aufforderung, ja Mahnung, die ich mir heute Abend herausnehme: Sachliche Leistungen und Verdienste, mögen sie noch so überzeugend sein, reichen im politischen Wettkampf nicht aus. Nein, Mut und Kraft müssen hinzukommen, den Menschen im Lande unmissverständlich, beharrlich und selbstbewusst zu sagen, wofür man steht!

Wie hat doch schon der alte Seneca gesagt: „Nicht weil es so schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es so schwer.“

Ich wünsche und hoffe, dass niemand dies vergisst – auch dann nicht, wenn einem der Wind noch so stark ins Gesicht zu wehen scheint …

 

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